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Ein allererster Versuch…

Wer mich kennt, der weiß, dass ich gerne verschiedene Bereiche miteinander verbinde: Handzeichnung und Computergrafik, Kunstgeschichte und Erzähltheorie, Geisteswissenschaft und Informatik. Und nun: Illustration und Visualisierung. Das ist eine Verbindung, über die ich in letzter Zeit viel nachgedacht habe und die ich gerne zu einem größerem Projekt ausbauen möchte.

Ein paar Gedanken hierzu: Manche Texte werden illustriert, manche visualisiert – beides zu einem unterschiedlichem Zweck: Buchillustrationen etwa fügen einem Roman eine bildliche Ebene hinzu, wobei häufig zu beobachten ist, dass diejenigen Handlungsabschnitte eine Illustration erfahren, die Schlüsselszenen darstellen. Visualisierungen hingegen werden genutzt, um Muster oder Zusammenhänge in einem großen und damit unübersichtlichen Datensatz sichtbar zu machen. Illustrationen wie Visualisierungen können also als Transformationen von einem Medium in ein anderes, in diesem Fall von einem Text- in ein Bildmedium begriffen werden. Ich frage mich deshalb: Kann es auch so etwas wie eine Mischform zwischen Illustration und Visualisierung geben?

Natürlich denke ich, dass es eine solche Mischform geben kann, und möchte daher nun meinen titelgebenden allerersten Versuch präsentieren, das erste Kapitel von Lewis Carrolls Alice’s Adventures in Wonderland (1865) nicht nur visuell, sondern tatsächlich bildlich zu veranschaulichen, indem ich Bilder indexikalisch nutze, d.h. jedes einzelne Wort durch ein kleines Bild darstelle. Die Aussage und Wirkung des so entstehenden Gesamtbildes wird dabei stark davon beeinflusst, welche Bilder stellvertretend für welche Worte stehen: Nutzt man z.B. das Gender-Symbol für Alice, einen eigens umgestalteten rotäugigen Playboy-Hasen für das weiße Kaninchen und ersetzt alle anderen Wörter lediglich durch schwarze Kreise, wird beispielsweise unmittelbar die Frage danach aufgerufen, wie sich das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Figuren in Carrolls Text gestaltet, humorvoll (oder vielleicht auch eher fragwürdig) zugespitzt durch die Konnotationen, die mit dem Playboy-Symbol einhergehen; die schwarzen Kreise sorgen zudem für einen (zugegebenermaßen unbedachten) optischen Effekt, beruhend auf einer Kontrastverstärkung.

Alice_Blog

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Pendelbaum (Teil I)

Es gibt Spaziergänge, die lange nachwirken. Vergangenen Winter habe ich zusammen mit Alex einen solchen Spaziergang entlang der Isar unternommen. Wir haben viel geredet, die Dinge gedreht und gewendet, waren auf der Suche nach grundlegenden Prinzipien, die die Forschung, das Leben, die Kunst bestimmen. Inspiriert hiervon ist ein kurzer Text entstanden, eine Geschichte, die danach verlangt hat, illustriert zu werden. Die Zeichnung ist nun, fast ein Jahr später, endlich fertig – und damit auch der Blogeintrag. 

Pendelbaum

Die ewige Suche nach dem Kern ist es, die Zarah schon ihr ganzes Leben lang begleitet, die sie einerseits fesselt, gebunden hält, andererseits immer wieder weiterziehen lässt, nur um sie letztlich immer wieder dieselben Strukturen entdecken zu lassen. Zarah ist Wissenschaftlerin. Sie liebt es in die Tiefe zu dringen, um das zu finden, was jenseits dessen liegt, an dem sie gerade arbeitet. Das ist es, was sie antreibt, aber auch so unglücklich macht. Ein Ankommen gibt es in diesem Denken nicht. So treibt es sie immer weiter. Sie überwindet die Grenzen ihrer eigenen Disziplin, weitet sie aus, zieht Parallelen zwischen den Dingen, und sieht, dass alles Eins ist.

Zarah nimmt die Grenzen zwischen den Disziplinen nicht als Grenzen wahr, sondern als Aufforderung zu deren Überwindung. Grenzen, denkt sie, werden allein aus dem Grund geschaffen, um einen Bereich abzustecken, um ihn übersichtlicher zu machen. Es ist ein Armutszeugnis, das die Beschränktheit menschlichen Denkens aufzeigt, denn diese Grenzen versperren die Sicht auf das, was allen Bereichen gemeinsam ist. Sie verschleiern, dass alles Eins ist.

Auf einem ihrer Spaziergänge mit Eins-Null spricht Zarah mit ihm darüber, dass alles miteinander verbunden ist. Auf diesen Gedanken sind schon viele Menschen gekommen, stellen sie fest, und doch scheint es so, als müsste jeder aufs Neue auf diesen Gedanken kommen, ihn in sein System integrieren, seine eigenen Begrifflichkeiten finden. So kommt es, dass jede Kultur, jede Wissenschaft andere Termini nutzt und es nur schwer zu einem Austausch kommt. In Zarah flackert deshalb für einen kurzen Augenblick die Idee auf, alle diese Begrifflichkeiten zu kartieren, um aufzuzeigen, dass die Menschen alle von der gleichen Sehnsucht getrieben werden, aber sie nur wenige in Worte zu fassen vermögen. Eins-Null ist gut darin, Dinge in Worte zu fassen. Die Worte werden im Laufe des Gesprächs zu einem Bild, zu einem Bild eines Baumes, das Zarah zeichnet. Es zeigt, dass alles Eins ist.

Der Baum ist riesig. Beginnt man damit, sich in ein neues Gebiet einzuarbeiten, dann greift man nach einem kleinen Zweig und begreift schon bald, dass es in diesem Gebiet nicht nur diesen einen Zweig, sondern eine schier unüberschaubare Anzahl solcher kleinen Zweige gibt, und fragt sich, wie diese miteinander verbunden sind. Hangelt man sich von Ast zu Ast, gewinnt man allmählich Orientierung, nimmt einen Standpunkt ein und baut sich gleichsam ein Nest, fest verankert zwischen zwei Astgabeln. Diese Position gilt es fortan zu verteidigen. Auf seinen Ausflügen kommt man mit anderen Nestbauern in Berührung, man tauscht sich aus, spinnt Kontakte, so dass Querverbindungen entstehen, fragil, spinnwebengleich. Man begreift immer mehr, wagt sich weiter in das Dunkel der Krone vor bis die Äste dicker werden und zu einem Stamm zusammenlaufen. Es gilt den Stamm hinab zu rutschen, hin zu den Wurzeln. Sie führen in das Zentrum, das alles verbindet. Dort endlich angekommen, erkennt man, dass alles Eins ist.

Im Kern herrscht Ruhe, aber auch Stillstand. Dort zu verweilen bedeutet den Tod. Man kann sich dort ein wenig ausruhen, doch dann gilt es Neuland zu erkunden, den festen Boden unter den Füßen wieder zu verlassen. Der Ausgangspunkt ist bekannt, das Herz weist den Weg. Man vertieft sich in das neue Gebiet, erklimmt einen neuen Baum. Oben angekommen, merkt man wie weit man sich vom Kern entfernt hat. Der Rückweg beginnt, alles sieht anders aus, hat sich mit der neuen Perspektive gewandelt. Man sieht einen knospentreibenden Baum vor sich oder vielleicht einen Baum, der goldenes Herbstlaub trägt, und erkundet werden will. Vielleicht sieht aber auch noch alles gleich aus und man möchte sich vergewissern, dass noch alles gleich ist? Vielleicht sind neue Zweige gewachsen, andere abgebrochen. Vielleicht geht man diesmal einen anderen Weg, baut sich ein neues Nest, wischt die Spinnweben fort. Wie es auch kommen mag, es ist diese Bewegung hin- und her zwischen den Enden des doppelten Baumes, die Zarah nicht innehalten lässt, die ihr Leben wie zwischen zwei Polen hin- und herpendeln und spüren lässt, dass alles eins ist.

Der Kern ist der Umschlagpunkt, der Punkt, an dem sich alles umkehrt. Er ist der Punkt, an dem die beiden Extreme des Pendelschlags gleich weit voneinander entfernt liegen, der Punkt, der die beiden Pole verbindet. Er ist der Punkt, an dem die Dualität überwunden wird. Und dies ist der Grund, weshalb Eins-Null fortan nicht mehr Eins-Null heißt. Denn: Alles ist eins.