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Kammäleon

Das Kammäleon ist ein Reptil, das zu den Leguanartigen innerhalb der Ordnung der Schuppenkriechtiere zählt. Es wird neben den echten Chamäleons und den Stummelschwanzchamäleons als eigene Unterfamilie innerhalb der Familie der Chamäleons jedoch nur selten systematisch beschrieben. Vermutlich liegt dies an der äußerst seltenen Verbreitung des Kammäleons. Mitunter wird gar seine Existenz bestritten.

Der Lebensraum des Kammäleons ist das Badezimmer. Das Kammäleon liebt feuchtes Klima und zieht sich gerne in Badezimmerschränke zurück, wobei eine Vorliebe für Bürsten und Kämme als Nistplatz zu beobachten ist. Auch wenn sein Lebensraum ohne den Menschen nicht denkbar ist, so wird er doch durch dessen tägliche Badroutine empfindlich gestört.

Ruth Reiche: Kammäleon, 2019
Fineliner und Buntstift auf Büttenpapier, 30×42 cm

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Ouroboros

Der Ouroboros, die sich selbst verschlingende Schlange, ist ein sehr altes Symbol, das ich hier spielerisch abgewandelt habe. Die Schlange verschlingt sich in meinen Zeichnungen nicht nur selbst, sie umschlingt sich auch, bildet fast so etwas wie einen gordischen Knoten – womit noch ein anderes altes Symbol ins Spiel kommt. Gezeichnet habe ich alle Exemplare in einer großen Geduldsübung Punkt für Punkt mit Fineliner auf Papier, Format 15 x 21 cm. Mich hat es während des Prozesses ungemein fasziniert, dass durch die Abwandlung in der Größe oder durch die Änderung der Dichte eines so einfachen Elementes, wie es der Punkt nun einmal ist, ein Muster entsteht, das ein unvorhersehbares Eigenleben führt und schließlich den Schlangenkörper kleidet.

Punktnatter.
Schwarzkopfpython.
Mumienschlange.


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Die gelbe Tapete

In meinem ganzen Leben habe ich noch keine so schlimme Tapete gesehen. Sie hat ein wildwucherndes, üppiges Muster, das allen Regeln der Kunst zuwiderläuft. Es ist so wirr, daß einem die Augen flimmern, wenn man dem Muster nachspürt, so ausgeprägt, daß es ständig irritiert und näheres Hinsehen verlangt; und folgt man den schwachen, unsicheren Kurven eine kurze Strecke, dann begehen sie plötzlich Selbstmord – tauchen in haarsträubenden Winkeln ab, zerstören sich in unerhörten Widersprüchen. Die Farbe ist abstoßend, geradezu ekelhaft, es ist ein schwelendes, schmutziges Gelb, das von dem langsam wandernden Sonnenlicht merkwürdig ausgebleicht wurde. An manchen Stellen ist es ein mattes und doch schreiendes Orange, an anderen ein kranker Schwefelton.

Charlotte Gilman Perkins, 1892

Mit „The Yellow Wallpaper“ (dt. „Die gelbe Tapete“) schrieb Charlotte Gilman Perkins Literaturgeschichte. Die autobiografisch geprägte Kurzgeschichte handelt von einer Frau mit postnataler Depression, die von ihrem Ehemann, einem Arzt, eine Ruhekur verschrieben bekommt. Im eigens dafür angemieteten Sommerhaus soll sie sich erholen. Die Einrichtung des ihr zugewiesenen Zimmers wird von einer gelben Tapete dominiert, die bald auch ihre Gedanken voll und ganz einnimmt. Dass dies nicht unbedingt heilsam ist, sondern zu einer ausgeprägten Psychose führt, schildert sie eindrücklich.

Im Göttinger Salon für Kunst und Kultur – kurz Sakuku – fand am 5. April 2018 eine Lesung der Kurzgeschichte mit Klangspiel statt. Parallel und ergänzend hierzu wurde eine Ausstellung konzipiert, zu der auch ich drei Bilder beigetragen habe. Gezeichnet mit Fineliner auf Papier, Format: 10 x 15 cm. Das Gelbe in den Bildern ist Bananenpapier, faserig und von einer rauen Haptik. Steht das Papier in dem einen Bild noch buchstäblich für die Tapete, hinter der ein Auge hervorlugt, so fungiert es in den anderen beiden als stark wucherndes Haar einer Frau, sei es der Autorin oder Protagonistin.

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Ein Kaninchen namens Olt

Vor ungefähr drei Jahren habe ich eine Geschichte über den Künstler Bert und sein treues Kaninchen Olt geschrieben, die ich zur Zeit illustriere und die dann im Zentrum meiner Ausstellung im Braunschweiger Tatendrang-Laden stehen wird, auf die ich mich schon sehr freue. Als eine kleine Vorschau hierauf gibt es nun ein paar „transformierte“ Kaninchenbilder zu sehen – die Anführungszeichen deshalb, da Bert seine Olt-Fotografien digital bearbeitet, ich hier hingegen rein analog mit Bleistiftvorzeichnung und Fineliner gearbeitet habe, um zu verschiedenen Varianten desselben Motivs zu gelangen (ein wenig so wie bei den Bäumen).

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Fliegen-Pilze

Der Bindestrich ist hier durchaus ernst zu nehmen, sind auf den Bildern doch keine gewöhnlichen Fliegenpilze zu sehen, sondern tatsächlich Fliegen-Pilze. Wie man anhand meiner letzten Beiträge, etwa der Fliegenpilz-Transformation und ihrer Fortsetzung, verfolgen kann, haben es mir diese eukaryotischen Gewächse angetan und erscheinen nun in einer Metamorphose mit ihrem namensgebenden Tier. Angeblich hat man in gezuckerter Milch eingelegte Fliegenpilze früher dazu verwendet, um Fliegen anzulocken – das Gift hat dann das seinige getan… oder auch nicht, denn wie es auf der Website des Verbands Deutscher Naturparks heisst, „werden die Fliegen aber nur betäubt und können, nachdem das Gift seine Wirkung verloren hat, wieder weiterfliegen.“

Um nun wieder auf die Bilder zurückzukommen: Das Papier habe ich selbst geschöpft und hierbei direkt im Schöpfungsprozess – man beachte die schöne Doppeldeutigkeit – den Hut der Pilze geformt. Nach dem Trocknen entstanden dann diese drei Zeichnungen mit Fineliner direkt auf dem Papier – ohne jede Vorzeichnung! Während ich in den letzten Jahren meinen halb analogen, halb digitalen Workflow perfektioniert habe, bei dem ich jedes Detail akribisch nachbearbeiten konnte (digital geht das ja…), habe ich mich hier vollkommen treiben und dann selbst vom (zugegebenermaßen etwas eigenartigen) Ergebnis überraschen lassen.

Fliegen-Pilz_01_Blog

Fliegen-Pilz_02_Blog

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Bäume

Ein originales Kunstwerk in „Postkartenformat“ – so die Vorgabe der Twitter Art Exhibit, die 2016 in New York City stattfinden soll. Welches Motiv wäre für ein solch kleines Format geeignet? Die Antwort war schnell gefunden: Ein Baum. Inspiriert vom Prinzip der so genannten Pythagoras-Bäume, auf dem schon die Schmetterlingsfraktale beruhen, habe ich eine Form als Baustein genutzt und mich vom Ergebnis überraschen lassen. Ich konnte gar nicht mehr aufhören, so fasziniert war ich von der Vielfalt der Möglichkeiten innerhalb meines eng gesteckten Rahmens: Wie in einem Rausch habe ich die letzten Abende über viele kleine Bäume gezeichnet, alle mit Fineliner auf Büttenpapier. Der oberste hat gleich mehreren Leuten am besten gefallen und tritt deshalb am Montag seine Reise in die USA an.

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Fliegenpilz-Transformation

Fliegenpilze sind giftig und wunderschön. Vor längerer Zeit habe ich Giftpilze gezeichnet, mit Bleistift, und beim tristen Herbstwetter bekam ich Lust, mit diesen Bildern weiterzuarbeiten. Dafür habe ich die Bleistiftzeichnungen zum Ausgangspunkt genommen, um eine lineare Zeichnung mit einem Fineliner anzufertigen. Auch die zeitanzeigende Schnecke der Küchenuhr habe ich ‚linearisiert‘ und Pilze und Schnecken schließlich digital zu einem in sich homogenen Bild zusammengefügt. Auf diese Weise wurden die Pilze nicht nur zeichnerisch transformiert, sondern auch inhaltlich: Die Schnecken erwachsen aus dem Pilz bzw. bildet der Pilz ihr Gehäuse.

Schneckenpilz:

Pilz01

Pilz03

Pilzschnecke:

Pilz02

Pilz04

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Kristallbild

Langweilige Zugfahrten bringen es manchmal mit sich, dass man auf (gute) Ideen kommt. Letztens hatte ich mein Skizzenbuch dabei, doch spannende Motive waren nicht in Sicht, so dass ich damit anfing vor mich hin zu kritzeln. Ich zeichnete Punkte, verband sie mit Linien, versuchte die entstandene Fläche dreidimensional darzustellen und fand schließlich zu einem systematischen Verfahren, um kristallin aussehende Formen entstehen zu lassen. Nachdem ich das Prinzip x-mal durchgespielt habe, hat es mich gestört, dass ich die Punkte, die zu Beginn eines jeden Kristalls stehen, beliebig setze, ihre Anordnung zufällig ist. Wäre es nicht interessanter, wenn sie durch irgendetwas vorgegeben wären? Dieses irgendetwas war schnell gefunden: Betrachtet man eine Buchseite und markiert bestimmte Wörter, dann erhält man gewissermaßen solche Ausgangspunkte. Musste also nur noch ein Buch her, das sich mit Kristallen beschäftigt, so dass nicht nur eine rein formale, sondern eine semantisch aufgeladene Bild-Text-Relation entsteht. Chemie? Nein, Deleuze!

Gilles Deleuze, ein moderner Klassiker. In seinem Buch Das Zeit-Bild. Kino 2 (dt. 1997, orig. 1985) prägt er den Begriff des Kristallbildes. Dieser besonderen Form des Zeit-Bildes widmet er sein viertes Kapitel. Ich habe mir hier das erste Unterkapitel vorgenommen und alle Wörter markiert, die mit Kristallen zu tun haben (Kristallbild, kristallin, kristallisieren etc.). In meiner Ausgabe (Suhrkamp) häufen sich derartige Wörter besonders auf den Seiten 96, 99, 103 und 104, weshalb ich beschlossen habe, diese Buchseiten zu kristallisieren. Ich habe Transparentpapier über die Seiten gelegt, und an Stelle jedes markierten Wortes einen Punkt gesetzt, die die Ausgangspunkte für die Zeichnung bilden. Entstanden sind vier verschiedene Kristalle, die in direkter Relation zum Text stehen.

Der erste Kristall zeigt das Verfahren, macht das Schema deutlich, aber auch, dass ausgehend von einer Grundform unzählige Variationen möglich sind, insofern zwar die Anzahl, aber nicht der Winkel und die Länge der abgehenden Striche vorgegeben sind. Zudem sind die vier Kristalle Handzeichnungen, keine lupenreinen Kristalle. Doch das steigert ihren Wert.

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